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In der Warteschlange des Lebens

  • Autorenbild: Meike Zimmermann
    Meike Zimmermann
  • 22. Jan.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 24. Jan.


Das Leben hatte unendlich viele Farben. Von Lebendigkeit und Leichtigkeit wurde es getragen. Das Leben lebte ich im Land der Charaktere. Heute wünschte ich, dass ich nie dort gestrandet wäre.


Geboren in eine Welt, in der das Virtuelle mehr Lebendigkeit zeigt, als mein eigenes Leben. In eine Welt, in der mich meine Eltern öfter auf dem Handy sehen als mich auf ihren Arm zu nehmen. Meine Eltern, deren Gesichter ich aus dem Kinderwagen nicht erblicken kann, denn sie haben schon wieder ihr Handy in der Hand. Ihre Gesichter würde ich doch so gerne öfter sehen, denn manchmal hilft mir das, um zu verstehen. Habe ich das gut gemacht? Sind sie vielleicht stolz auf mich? Oder hätte ich mich beeilen sollen? Doch alles was ich sehe, sind gesenkte Köpfe und Augen, die über den Bildschirm rollen. Wie sehr ich mich nach liebevollen Blicken sehne, nach der Wärme in den Augen von Mama oder der Freude in denen von Papa. Die liebevollen Blicke haben sie meistens nicht für mich, denn sie brauchen mal Zeit für sich. Ich soll warten, sie sind müde von der Arbeit oder sie müssen noch diese eine Nachricht schreiben. Alles muss direkt am Handy nachgeschaut werden, nur ich – ich kann in der Warteschlange bleiben. In der Warteschlange des Lebens, da stehe ich bis mir meine Eltern auch einen Bildschirm in die Hände legen. Mein erstes Tablet und ich bin erst drei. Jetzt haben sie ihre Ruhe, mein Verlangen nach ihrer Aufmerksamkeit ist endlich vorbei. Mein Tablet ist immer für mich da, denn es erfüllt mein Leben. Es wird mir egal wie wenig meine Eltern mit mir reden. Die Farben in meiner Welt gehen verloren, denn ich bin in die Welt von Handys und Tablets geboren. Die Farben meines Bildschirms lassen mich nicht los und so sitze ich Stunden davor, ich komme nicht hoch.


Stundenlang hätte ich sonst mit Kreide gemalt oder mit Papa einen großen Turm gebaut. Mit Mama unseren Einkauf bezahlt oder verträumt in die Wolken geschaut. Ich hätte nicht nur meine Augen bewegt, sondern meine Arme und Beine auch. Mich selbst gespürt und wäre in meine Fantasiewelt eingetaucht. Ein Bild von einem Einhorn kreiert oder mich zu lange auf den Spielplatz verirrt.


Stattdessen ist die Einzige, die mitdenkt meine Alexa auf dem Schrank, die mir Vorschläge gibt was ich heute machen kann. Aber ich will nicht aufstehen wofür denn auch, denn mein Tablet im Schoß ist alles was ich brauch. Alles was ich brauche waren meine Eltern und ihre Zeit, doch jetzt bin ich selbst verreist. Ich lebe in der Welt von Instagram und Fortnite, hier interessiert man sich für mich - die ganze Zeit. Eine ganze Zeit, in der ich Kind meiner Eltern war, doch jetzt ist nur noch mein Username da. Mittlerweile bin ich mein eigener Held und erkunde die virtuelle Welt.


Mein Held wäre mein Papa geworden, hätte er mir früher mit meinen Lego Projekten geholfen. Hätte mich meine Mama früher in den Arm genommen und gesagt: „Ich spiele so gerne mit dir", dann wäre ich vielleicht noch hier. Dann wäre ich vielleicht selbst aktiv und nicht nur mein Instagram Profil.


Ich würde heute tatsächlich mal durch den Sommerregen rennen und nicht nach zehn Treppen das Gefühl haben, meine Lunge würde brennen. Dann würde ich selbst für etwas brennen, das mein Herz berührt so tief, dass ich nicht mehr direkt vor den Bildschirm, in meinem Zimmer, lief. Ich würde öfter mein Zimmer verlassen und Discord Dates, mit Freude verpassen. Mit Freude meine Freunde im echten Leben begrüßen und durch den Matsch laufen – natürlich mit nackten Füßen. Mit nackten Füßen, die Welt besuchen, mal eine Mathearbeit verfluchen und es erneut versuchen. Es erneut versuchen, weil ich das Kind meiner Eltern bin und sie immer sagen „Gemeinsam bekommen wir alles hin“. Gemeinsam mit ihnen hätte ich über vieles gelacht und auch mal Fehler gemacht. Ich hätte Fehler gemacht und sie ihnen erzählt. Erzählt, weil ich weiß dass sie mich in die Arme nehmen, mit den Worten „Mein Kind, wir werden dich immer lieben“.


Mich selbst zu lieben oder mit Vorfreude, auf den nächsten Morgen, ins Bett zu gehen. Das habe ich leider nie geübt. Alles was mir bleibt ist mein virtuelles Leben. Ich frage mich, ob mir das genügt. Ich frage mich, wie wäre es heute. Wie wäre es gewesen, hätte ich nicht nur die Anleitung von Fortnite gelesen. Die meines eigenen Lebens hätte ich gerne erlebt, denn jetzt habe ich keine Ahnung wie reales leben geht.




ree

 
 
 

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